Zum Jahreswechsel 2022/2023 trat das Wohngeld-Plus-Gesetz in Kraft, das mehr Menschen mit niedrigem Einkommen das Wohngeld zugänglich machen soll und zudem die extrem steigenden Kosten des Heizens für die Bezieherinnen und Bezieher abfedern soll.
Bislang sah die Rechtslage vor, dass Hartz-IV-Leistungen („Bürgergeld“) abgelehnt werden, wenn hinreichend sicher ist, dass ein vorrangiger Wohngeldanspruch besteht (§ 12a SGB II, vgl. Bundesagentur für Arbeit: Fachliche Weisung zu § 12a SGB II vom 27.10.2022, Rz. 12a.7-10). Mit dem Wohngeld-Plus-Gesetz wird ein neuer § 85 SGB II eingeführt. Diese Regelung sieht vor, dass SGB-II-Leistungsempfänger:innen, die bereits Ende 2022 Leistungen erhalten bzw. spätestens ab dem 30.6. 2023 Leistungen erhalten werden, nicht von den Jobcentern auf vorrangiges Wohngeld verwiesen werden dürfen („Wohngeld-Moratorium“, vgl. dazu die aktualisierte Weisung zu § 12a vom 01.01.2023, Rz. 12a.9a, b). Die Betroffenen verbleiben somit mit allen Rechten und Pflichten zunächst im Leistungs-system SGB II, anstatt ins Wohngeld zu wechseln. Begründet wird dies mit der zu erwartenden hohen Zahl von neuen Wohngeld-Anträgen, deren Bearbeitung wahrscheinlich sehr lange dauern wird.
Die Fragestellerinnen und Fragesteller befürchten, dass im ersten Halbjahr 2023 viele Wohngeldberechtigte aufgrund langer Bearbeitungszeiten beim Wohngeld Leistungen der Grundsicherung beantragen müssen, was dann wiederum (bei freiwilligen Parallel-beantragungen) zu aufwändigen Erstattungsansprüchen zwischen den Leistungsträgern führen könnte. Dies würde bei den beteiligten Behörden zu hohem Aufwand und hohen Verwaltungskosten führen, bei betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu Ärger, Frustration und Geldnöten, weil sie möglichweise mehrere Leistungen beantragen müssten, teils auch solche, die sie eigentlich gar nicht beanspruchen möchten.
Zusammenfassung der Antwort der Bundesregierung (20/5253) auf die Kleine Anfrage (BT-Drs. 20/5019):
Durch die Wohngeldreform sollen anstatt wie bisher rund 600.000 Haushalte in Deutschland rund 2 Millionen Haushalte finanzielle Hilfen bei den Wohnkosten erhalten, davon rund eine Million Haushalte, die bislang gar keine Hilfen erhielten und rund 380.000 Haushalte, die bislang Hartz IV/Bürgergeld (200.000 Haushalte, rd. 7 Prozent aller Haushalte im Bezug) bzw. Sozialhilfe/Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (180.000 Haushalte, etwas über 20 Prozent aller Haushalte im Bezug) bekamen. (Frage 1)
Wie lange die Bearbeitungszeiten beim Wohngeld sind und sein werden – gerade bei der erwarteten hohen Zahl an Neuanträgen, darüber hat die Bundesregierung keine Einschätzung oder Prognose (Frage 2), obwohl die Sachverständigen aus Kommunen, Landkreisen und Ländern dies in Öffentlichen Anhörungen, Interviews und Gesprächen immer wieder aussagen: Es ist mit sehr langen Bearbeitungszeiten von 3-12 Monaten zu rechnen, NRW etwa bekommt erst ab April die passende Software geliefert (Fragen 2-3)
Für Haushalte, die bisher im SGB II/SGB XII waren, aber nun ins Wohngeld wechseln sollen, wurde im ersten Halbjahr 2023 ein „Wohngeldmoratorium“ geschaffen. D.h. Haushalte, die Bürgergeld bzw. Sozialhilfe erhalten oder beantragen, aber einen höheren Wohngeldan-spruch hätten, dürfen vorrübergehend nicht aufs Wohngeld zwangsverwiesen werden. Trotz dieser neu eingeführten Sonderregelung verfügt die Bundesregierung über keine Schätzungen oder Prognosen, wie sich dieses Moratorium auswirkt und welche Folgen es zeitigt. Auch über die finanziellen Auswirkungen auf Kommunen, Länder und Bund sowie Verwaltungsausgaben hat die Bundesregierung keine Vorstellungen (Fragen 4-6, 8).
Für Personen in akuten Geldnöten wird auf die rückwirkende Zahlung des Wohngelds verwiesen sowie auf die Möglichkeit vorläufiger Zahlungen beim Wohngeld (ab ca. 1 Monat Bearbeitungszeit, Frage 8a/b), wobei hierauf kein Rechtsanspruch besteht. Realistischer wäre nach unserer Meinung, zur Sicherheit zunächst einen Antrag auf Grund-sicherungsleistungen zu stellen, da hier meist nach einem Monat mit Zahlungen/ Vorschüssen zu rechnen ist. Das verursacht jedoch bei den zuständigen Jobcentern und Sozialämtern einen massiven Verwaltungsmehraufwand, der durch die eigentlich wohngeldberechtigte Haushalte ausgelöst wird, die fürchten, nicht ihren laufenden Bedarf durch die langen Bearbeitungszeiten beim Wohngeld decken zu können.
Die Jobcenter sind trotz des „Moratoriums“ verpflichtet, bei jedem Antrag/Weiter-bewilligung im Einzelfall zu prüfen, ob ein(höherer) Wohngeldanspruch besteht (ggfs. in Kombination mit dem Kinderzuschlag), da in diesem Fall entsprechend zu informieren und beraten ist sowie die eigentlich 12-monatigen Bewilligungszeiträume zum 30.06.2023 zu verkürzen, da dann das Moratorium endet. Ab 01.07. sind die Betroffenen dann aufs Wohngeld zu verweisen, Weiterbewilligungsanträge auf Bürgergeld bzw. auf Sozialhilfe werden nur bewilligt mit Verpflichtung der Antragstellung und der Anmeldung von Erstattungsansprüchen des Jobcenters an die Wohngeldkasse – ein weiterer massiver Verwaltungsaufwand, der Übergang wird dadurch nur verschoben.
Mein Kommentar zu den Ergebnissen:
Die Ampelregierung setzt schon wieder sinnvolle Verbesserungen bei den Sozialleistungen in den Sand. Gerade jetzt muss Menschen geholfen werden, die wegen der rasant steigenden Mieten und explodierenden Nebenkosten in Geldnöte geraten. Die Reform ist aber viel zu kompliziert. Es stehen ewig lange Bearbeitungszeiten ins Haus. Rückwirkende Zahlungen nach langer Wartezeit helfen den Betroffenen aber nicht in akuten Finanznöten.
Mit dem Wohngeld-Moratorium will die Bundesregierung die Wohngeldstellen entlasten. Fast 400.000 Haushalte, die in Hartz IV und Sozialhilfe sind, sollen erst ein halbes Jahr später ins Wohngeld wechseln. Dies belastet die Jobcenter-Beschäftigten zusätzlich und führt zu einem doppelten Bürokratieaufwand. Wesentlich sinnvoller wäre gewesen, die Leute gleich an die Wohngeldstellen zu leiten und das Wohngeld schnell und vorläufig auszuzahlen.
Dieses Hick-Hack ist die Konsequenz einer überhasteten und schlechten Gesetzgebung. Die vielen frühzeitigen Warnungen der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter wurden einfach ausgeblendet.
Jessica Tatti, MdB, Sprecherin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag